Hilary Mantel
ISBN 9783832161934
Man könnte meinen, dass die Geschichte von König Henry VIII.
und seinen Frauengeschichten schon oft genug erzählt wurde. Hilary Mantel
gelingt es aber, eine überraschende Perspektive zu wählen: sie stellt Thomas
Cromwell ins Zentrum und berichtet in einer Trilogie über seine Sicht als
Außenseiter, der sich vom Sohn eines einfachen Schmieds zu einem der
mächtigsten Männer am englischen Hofe hocharbeitet. Cromwell ist dabei nicht
einfach der gewissenlose, machtgierige Emporkömmling, sondern wird als sehr
vielschichtiger, manchmal auch undurchschaubarer Charakter gezeichnet, der von
seiner schwierigen Kindheit und Jugend ebenso geprägt wird wie durch die Jahre im
Dienste von Kardinal Wolsey. Dieser ermöglicht ihm den Zugang zum Hof, wo sich Cromwell
durch die Verliebtheit des Königs in Anne Boleyn ganz neue Aussichten bieten,
denn er weiß, wie Henry einen Ausweg aus seiner Ehe mit Katharina finden
kann...
Für „Wölfe“, den ersten Teil ihrer Cromwell-Biographie,
wurde Hilary Mantel völlig zu Recht mit dem Booker-Preis 2009 ausgezeichnet.
Ihr Schreibstil ist in seiner Schlichtheit sehr klar und elegant, allerdings
nicht ganz einfach und zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig. Hilary Mantel nutzt
die personale Erzählweise, geht aber oft eher sparsam mit Namen (vor allem mit
dem ihrer Hauptperson) um, so dass manchmal auf den ersten Blick nicht ganz
klar wird, wer jetzt gerade handelt. Dass es nicht immer ganz einfach ist, den
Überblick über die Personen zu behalten, ist allerdings nicht nur dem knappen
Stil geschuldet, sondern liegt zu einem großen Teil daran, dass man damals halt
eine Vorliebe für die Namen Thomas, Henry, John, Mary und Anne hatte (die fünf
Seiten Personenregister und zwei Stammbäumen bieten da eine nützliche
Gedächtnisstütze). Wenn man sich aber darauf einstellt, dass „Wölfe“ kein
leicht zu verschlingender Historien-Schmöker ist, sondern etwas Konzentration
verlangt, wird man mit einem wunderbaren Kaleidoskop an brillanten
Charakterdarstellungen belohnt. Und es ist sehr erfrischend, dass Hilary Mantel
nicht bloß bei ihrer Hauptperson die gängigen Klischees umgeht, sondern auch
Thomas More mal nicht nur als feinsinnigen Renaissance-Gelehrten zeigt, sondern
auch als gefühlskalten Gefangenen seiner Prinzipien. Dabei steht immer die
Interaktion der Personen im Vordergrund, so dass sich die Figuren aus vielen
einzelnen Szenen und Dialogen langsam entwickeln und ein schillerndes Bild
einer Gesellschaft im Umbruch entstehen lassen.
Fazit: keine leichte Kost, aber ein grandioses Portrait
einer faszinierenden Persönlichkeit, wenn man sich an den zurückhaltenden Stil
gewöhnt hat.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen