Aimee Bender
ISBN 9783833308536
Rose ist knapp neun Jahre alt, als es zum ersten Mal
passiert: der Zitronenkuchen, den ihre Mutter gebacken hat, schmeckt nicht nur
nach Zitrone, Zucker und Butter, sondern auch nach Abwesenheit, Leere und
Traurigkeit. Als sei die Mutter mit ihren Gedanken und Gefühlen nicht bei der
Sache, sondern habe sich irgendwie von der Familie entfernt. Das Hähnchen mit
Bohnen zum Abendessen hat den gleichen emotionalen Nachgeschmack. Verzweiflung,
heimliche Verliebtheit, Schuldgefühle, all das kommt im Roastbeef, dem Sandwich
oder einem Keks zum Vorschein und macht Rose das Essen zur Hölle. Und die
unerwünschte Fähigkeit verschwindet nicht wieder, sondern verstärkt sich noch.
Bald schmeckt Rose nicht nur die Gefühle des Kochs bei der Zubereitung, sondern
auch die des Bauern bei der Ernte, des Arbeiters beim Verpacken. Dazu kommen all
die Probleme, die man als heranwachsendes Mädchen so hat: Rose bekommt
detailliert mit, wie die Ehe der Eltern zerbricht, ohne dass sie etwas tun
kann. Joseph, ihr Bruder, wird immer seltsamer, verschwindet manchmal auf
unerklärliche Weise und taucht dann völlig erschöpft wieder auf. Und dann sind
da noch die Gefühle für George, Josephs bester Freund und der einzige, der von
Roses Begabung weiß...
Als ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe, war ich
ziemlich enttäuscht. Die Grundidee, Gefühle schmecken zu können, gefällt mir
wirklich gut, aber leider kommt sie für meinen Geschmack zu kurz. Sehr bald
dreht sich das Buch zur Hauptsache um Roses Bruder Joseph, der eine mindestens
ebenso eigenartige Fähigkeit hat, die sich aber in eine ganz andere Richtung entwickelt.
Damit wirkt das Buch überfrachtet, zu gehetzt, zu skurril. Einen gehetzten
Eindruck macht oftmals auch der (eigentlich sehr elegante) Stil. Die Sätze sind
stakkatohaft aneinandergereiht, bei den Dialogen fehlen die Anführungs- und
Schlusszeichen und die direkte Rede beginnt teilweise mitten im Absatz. Als ich
das Buch jetzt für die Re-Read-Challenge nochmals gelesen habe, habe ich deshalb
versucht, das Lesetempo künstlich etwas zu drosseln, um der Geschichte mehr
Raum zu geben. So kommen zwar die fein gezeichneten Personen besser zur
Geltung, aber ich mochte den Handlungsstrang um Joseph immer noch nicht. Auch
das ist eine Idee, die durchaus Potenzial hat, aber es wäre meiner Meinung nach
viel besser gewesen, das von Roses Begabung zu trennen. So ersticken sich die
beiden Ideen gegenseitig und man stumpft als Leser angesichts der vielen
abstrusen Vorkommnissen irgendwann ab, so dass man die vielen schönen Details
der Geschichte gar nicht mehr würdigen kann.
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