Elf ist freundlich und Fünf ist laut. Ein genialer Autist
erklärt seine Welt
Daniel Tammet
Heyne Verlag
ISBN 978-3453640405
Im Gehirn des Briten Daniel Tammet läuft irgendetwas anders
als bei durchschnittlichen Menschen. Er ist Epileptiker und hat das Asperger-Syndrom,
eine leichte Form von Autismus. Der direkte Umgang mit anderen Menschen ist für
ihn oft schwierig und er hat oft Mühe, mit den vielen Reizen in seiner Umgebung
fertig zu werden. Dafür hat er ein phänomenales Gedächtnis, spricht zehn
Sprachen fliessend und kann eine neue Sprache in einer Woche erlernen. Er hat
Synästhesie, für ihn sind Zahlen bunt, sie haben eine Struktur im Raum und eine
Persönlichkeit. Und mit diesen bunten Zahlen macht er erstaunliches: er kann
mathematische Probleme schneller und genauer lösen als ein Taschenrechner und
kennt die Zahl Pi bis auf die 22514. Stelle nach dem Komma. Und er weiss von
jedem Kalenderdatum, ob das ein Montag oder Mittwoch war.
Daniel Tammet ist ein „Savant“, einer der ganz wenigen Menschen mit einer Inselbegabung. Doch auch unter den Savants sticht er hervor, denn die meisten von ihnen, vor allem jene mit Autismus, sind nicht in der Lage, ihr Leben selbständig zu meistern. Ihre Begabung erfasst nur einen kleinen Teil, eine Insel im Meer der alltäglichen Denkprozesse. Daniel Tammet dagegen hat gelernt, mit den Problemen des Alltags umzugehen und ein selbständiges Leben zu führen. Er kann beschreiben, wie diese Lernprozesse ablaufen und wie sein Hirn arbeitet. Das macht ihn für Forscher, aber auch für Laien, so interessant.
In diesem Buch erzählt Daniel Tammet seine Lebensgeschichte.
Er beschreibt die Schwierigkeiten in seiner Kindheit und Jugend, mit der für
ihn unbegreiflichen und bedrohlichen Umgebung umzugehen. Wie er seine
Andersartigkeit wahrnimmt und Schritt für Schritt lernt, Kontakt zur Aussenwelt
aufzunehmen, mit anderen Menschen zu interagieren. Wie er es schließlich schafft, seinen Weg zu finden, eine
glückliche Partnerschaft zu führen und ein Unternehmen aufzubauen, das ihm
erlaubt, nach seinen eigenen Bedürfnissen zu arbeiten und zu leben. Und nicht
zuletzt, wie er in den Fokus der Forschung und der Medien gerät, zum
Protagonisten eines Dokumentarfilms und Gast in Talkshows wird und auch diese
Herausforderungen meistert.
Tammet ist ein Zahlengenie, ein Literat dagegen ist er
nicht. Seine Sätze sind kurz und knapp, die Sprache relativ klar, aber ohne
stilistische Feinheit. Manchmal ist der Inhalt sehr verdichtet, fast zu
komprimiert, so dass es für den Leser schwierig sein kann, Tammets Gedankengängen
zu folgen. Und manchmal bleiben durch die knappen Formulierungen die
dahinterstehenden Gedankengänge auch fremd und nicht nachvollziehbar. Die
spannende Lebensgeschichte lohnt es jedoch, sich durch solche sprachlichen
Mängel nicht entmutigen zu lassen.
Störend finde ich, dass der Originaltitel „Born on
a Blue Day“ im Deutschen zu „Elf ist freundlich und Fünf ist laut“ umgewandelt
wurde, denn der wird den speziellen Fähigkeiten von Daniel Tammet nicht
gerecht. Für mich ist Fünf nicht laut, sondern rotorange und schnippisch, denn
ich bin ebenfalls Synästhesistin, wie abertausend weitere Menschen. Ich kann
aber weder speziell gut rechnen noch Kalenderdaten ihren Wochentagen zuordnen,
geschweige denn eine Fremdsprache in nur einer Woche erlernen. Der deutsche
Titel stellt also von all den außergewöhnlichen Fähigkeiten von Daniel Tammet
gerade die verbreitetste in den Vordergrund. Schade! Aber eigentlich geht es in
diesem Buch nur bedingt um geniale Talente, sondern um die Geschichte eines
Menschen, der mit unglaublichem Aufwand darum kämpfen muss, für uns alltägliche
Situationen zu meistern, und der trotz gelegentlicher Rückschläge nie aufgibt.
Na ja, ich denke, der Titel soll in erster Linie Interesse wecken und im Englischen ist "on a blue day" (trauriger Tag - blauer Tag) eine interessante Zweideutigkeit (ich nehme mal an, für den Protagonisten ist der Tag seiner Geburt durch seine spezielle Fähigkeit irgendwie blau, andererseits auch traurig, bzw. eine gewisse Melancholie über die eigene Geburt schwingt mit?) - im Deutschen musste es dann irgendwie anders versucht werden. Im Grunde hat er funktioniert, den ich habe auch wegen des Titels Deine Rezension darüber gelesen.
AntwortenLöschenIch habe auch gewisse Synästhesien, allerdings kann ich sie nie konkretisieren, bei mir läuft vieles auf einer abstrakteren Ebene ab, manchmal hilft es mir, Dinge zu merken, aber meistens ist es recht nutzlos oder stört mich, wenn bei mir intersensuelle Assoziationen aufkommen. :/ Da hast Du recht: So supertoll ist das nicht. -.-" Aber so weit ich weiß, ist dieses "Genie" eben außergewöhnlich, denn die meisten Menschen mit Asperger-Syndrom sind nicht so spektakulär und beim Kanner-Syndrom (dem "richtigen" Autismus) liegt sogar häufiger eine Intelligenzminderung als -Steigerung vor. Das ist das eigentlich faszinierend an der Erkrankung: Einerseits die Uniformität, andererseits die Varibalität der Symptome, denn daraus lässt sich schließen, wie komplex das menschliche Gehirn wohl angelegt sein muss.
Ich glaube, ich werd' das Buch mal auf meine Leseliste setzen.
Liebe Grüße
Ninon